40 Jahre lang gerierte sich der Autokrat als  Kunstfigur, nun geht Gadhafi mit aller Härte gegen seine Gegner vor. Es  wird ihm nicht mehr helfen. M. Gehlen kommentiert.
Muammar al-Gadhafi ist abgetaucht. Seit seinem kurzen Karnevalszug  über den Grünen Platz in Tripolis durch die zusammengekarrten  Honorarjubler wurde er nicht mehr gesehen. Er scheint zu ahnen, dass  nach Ben Ali und Hosni Mubarak nun auch die Reihe an ihm ist, dem  „Führer der Führer Arabiens und König der Könige Afrikas“. Und er  scheint entschlossen, seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen.
Vom ersten Tag des Zorns an ließ Gadhafi sofort scharf schießen – inzwischen richten seine Soldaten und Söldner im Volk ein Massaker an.   Der Despot scheut vor nichts zurück, um seine Macht zu retten, die   nicht mehr zu retten ist. Lange gefiel er sich in der Rolle des   skurrilen Weltlehrmeisters und Politclowns. Zuhause ließ er sich als   „Bruder Führer“ verehren, umschwärmt von devoten Hofschranzen, geschützt   von einem allgegenwärtigen Geheimdienst. Paris und Rom ertrugen seine   erratischen Staatsbesuche, weil es bei ihm was zu holen gibt. Der   Beduinenoberst sitzt auf den größten Ölvorräten in Afrika, er beliefert   halb Europa – auch Deutschland und die Schweiz.
Doch nun haben seine Untertanen ebenfalls die Nase voll von 42 Jahren  Vetternwirtschaft, Inkompetenz und Gängelei, die Libyen zugrunde  gerichtet haben. Mit all seinen Bodenschätzen und seiner für arabische  Verhältnisse überschaubar kleinen Bevölkerung könnte das Land eine Insel  der Seligen sein. Stattdessen ist es ein ärmlicher, merkwürdig  verschrobener Flecken Erde geblieben. Die Jungen wollen nicht mehr. Sie  wollen leben, wie ihre Altersgenossen auf der anderen Seite des  Mittelmeers. Und sie trauen ihrem „Grünbuch-Vordenker“ mit seiner  neo-sowjetischen Alten Garde nicht mehr zu, ihnen eine lebenswerte  Zukunft zu eröffnen.
 

 
  
