Von Hans H. Nibbrig
9. August 2010- Im Februar haben Fahnder einen Schleuserring zerschlagen. Nun stehen elf Männer und Frauen in Berlin vor Gericht. Zu Prozessbeginn verweigerten sie die Aussage.
Elf Angeklagte, 16 Verteidiger, mehrere Dolmetscher – zum Prozessauftakt gegen eine Gruppe mutmaßlicher Menschenhändler herrschte am Montag Hochbetrieb im größten Saal des Landgerichts Moabit. Und das wird bis zum Ende dieses Jahres noch einige Male so sein. 15 Verhandlungstage hat das Gericht angesetzt, um dem von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwurf der banden- und gewerbsmäßigen Einschleusung vietnamesischer Staatsbürger nachzugehen.
Zwei Deutsche und neun Vietnamesen, darunter drei Frauen, hat die Staatsanwaltschaft auf die Anklagebank gebracht. Sie sollen Teil einer weltweit operierenden Menschenhändler-Organisation sein, die in sogenannten Garantieschleusungen Vietnamesen über Deutschland und Frankreich nach Großbritannien gebracht hat. Dabei wird den Kunden garantiert, dass sie ihr Ziel erreichen, egal, wie oft es versucht werden muss.
In monatelanger Kleinarbeit haben die Beamten der gemeinsamen Ermittlungsgruppe „Schleuser“ der Bundespolizei und des Berliner Landeskriminalamtes die Strukturen der Organisation aufgedeckt. Danach erfolgt der Transport der Menschen zunächst per Flugzeug von Vietnam nach Moskau oder Prag. Von dort geht es mit dem Auto über die deutsche Grenze, zunächst nach Berlin und anschließend weiter nach Frankreich. Dort übernehmen türkische und arabische Großfamilien die Kundschaft und organisieren die letzte Etappe auf der langen Reise nach Großbritannien.
Die elf seit Montag in Berlin vor Gericht stehenden Angeklagten – der Älteste 50, die Jüngste 21 Jahre alt – hatten innerhalb der Schlepperorganisation die Aufgabe, die Vietnamesen über die Grenze nach Berlin und von dort nach Frankreich zu bringen. Die Führung der Berliner Gruppe soll ein seit langem hier lebender 50-jähriger Vietnamese innegehabt haben. Er sitzt wie zwei seiner angeklagten Mittäter seit Februar 2010 in Untersuchungshaft. Die anderen Angeklagten sollen unterschiedliche Aufgaben wahrgenommen haben: Organisation der Grenzübertritte, Transport der Kunden, Bereitstellung von Wohnungen, Anmietung von Fahrzeugen,
Bis zu 30.000 Euro sollen Vietnamesen in ihrer Heimat für die Reise nach Westeuropa bezahlt haben. Wer die volle Summe aufbringen konnte, für den war Berlin nur eine Durchgangsstation, schon nach wenigen Tagen ging es weiter Richtung Westen. Wer das Geld nicht hatte, musste bleiben, um seine Schulden bei den Schleusern durch den Verkauf von Schmuggelzigaretten zu begleichen.
40 Fälle von Schleusungen hat die Staatsanwaltschaft aufgelistet. Wie viele es tatsächlich waren, ist unklar. Zu Prozessbeginn schwiegen die Angeklagten zu allen Vorwürfen. Ob sich das noch ändert, müssen die nächsten Verhandlungstage zeigen. Die bisherigen Erfahrungen mit derartigen Prozessen geben allerdings wenig Anlass zum Optimismus.
http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article1369670/Mutmassliche-Menschenschmuggler-schweigen.html